„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1.Mose 16, Vers 3)
Ansprechend fällt die Jahreslosung für 2023 aus. Sie ist kurz und prägt sich gut ein. Gedruckt passt sie auf ein kleines Handkreuz. Im Sendungsgottesdienst habe ich dieses Kreuz unseren neben- und ehrenamtlich Tätigen als persönlichen Segen für die Hosentasche in die Hand gelegt. Oft trage ich selbst so ein Handkreuz in meiner Tasche. Bei Gelegenheit verschenke ich es, halte es aber auch selbst gern. Aus Holz gemacht, ist es immer warm. So liegt es jetzt gerade in meiner Hand. „Du bist ein Gott, der mich sieht!“, lese ich. Das „Du“ fällt mir als erstes auf. Und die Aussage, dass ich gesehen bin. Das unterscheidet unsere christliche Vorstellung von Gott von der anderer Religionen. Ich kann wie zu einer Person zu Gott sprechen. Und er schaut mich dabei an. Wie in einem Gespräch mit einem anderen Menschen, in dem die Augen der Sprechenden sich aufmerksam begegnen. Es tut so gut, wenn Menschen diesem Blick standhalten und ihn erwidern! Der andere empfängt wertvolle Signale, wenn er mich auch ansieht. So, denke ich, ist es auch mit Gott. In der Weihnachtszeit, die erst Ende Januar wirklich endet, stehe ich gerne an der Krippe in unserer Kirche und suche den Blick des kleinen Jesus in der Krippe. Dabei wünsche ich mir, dass er mich ansieht, mich meint. Werde ich gesehen, bin ich angesehen, bin gewürdigt mit
meinen Gaben und meinem Können.
Spannend ist, dass es einige alte Handschriften des 1. Buches des Mose gibt, in der dieser Satz ganz anders lautet. „Du bist ein Gott, der sich zeigt!“ Eigentlich doch logisch, dass der, der mich sieht, mich anschaut, auch selbst zu sehen ist, denke ich. Sonst ist es wie mit dem Komissar, der im Krimi durch eine verspiegelte Scheibe in den Verhörraum sieht, ohne selbst zu sehen zu sein. So ein „Gesehen-Werden“ schafft kein Vertrauen. Nur einem, den ich auch ansehen kann, kann ich vertrauen. Nach dem zweiten Gebot „Du sollst Dir kein Bild von Gott machen“ haben wir uns eine Vorsicht angewöhnt, uns Gott bildhaft vorzustellen. Aber, ehrlich gesagt, hat auch jeder Mensch, der mit mir spricht, ganz viele Gesichter, die im Gespräch auch wechseln können, manchmal ganz überraschend. So ist das vielleicht auch mit Gott, mit seinen oder ihren Gesichtern. Ich fühle mich gesehen und geschätzt, lege ihn oder sie dabei aber auf kein Bild fest.
In welchem Zusammenhang wird in der Bibel so ein Satz gesagt? Er stammt aus dem Mund der Hagar. Sie kommt aus Ägypten und ist jetzt die Sklavin von Abraham und Sarah, die heute Eltern der drei Weltreligion Judentum, Christentum und Islam sind. Sarah kann keine Kinder bekommen. So schlägt sie ihrem Mann vor, mit Hagar als Leihmutter ein Kind zu zeugen, die dann auch schwanger wird.
Da kippt die Stimmung. Hagar achtet Sarah nicht mehr, weil sie sich als Schwangere ihr überlegen fühlt. Der Streit der beiden Frauen eskaliert, Abraham
facht ihn noch an, als er zu Sarah sagt: „Mach doch mit ihr, was Du willst!“ Hagar flieht in die Wüste, den klassischen Rückzugsort im Heiligen Land. Dort sagt ihr in einer Oase ein Engel: „Kehre zurück!“. Sie tut es und gebiert Ismael. Im Koran wird Ismael dann der Vater der Muslime. Abraham und Sarah bekommen dann doch noch ein Kind, Isaak. Von ihm stammen Jüd*innen und Christ*innen ab.
Hagar sagt, nach der Entbindung im Zelt von Abraham und Sarah: „Du bist ein Gott, der mich ansieht!“ Sie hat ihre Würde zurückerhalten. Nicht, weil ihre Herrin sie wieder aufgenommen hat. Sondern weil Gott sie geführt und ihr gesagt hat, was das für ein wilder Junge ist, der in ihr gereift ist. Gott hat sie und ihr Kind gesehen! Und in Gestalt eines Engels sich ihr auch gezeigt.
„Du bist ein Gott, der sich zeigt; und einer, der mich sieht.“
Mit diesem Wort möchte ich durch das Jahr 2023 gehen, in dem die Krisen des vergangenen Jahres nicht einfach vorbei sein werden. Am liebsten
möchten manche einfach davor weglaufen wie Hagar – aber wohin? Der Engel schickt Sarah zurück. Bleib doch, halte aus!
Ein paar Kreuze habe ich übrigens noch. Sagen Sie es mir, wenn Sie selbst eines bekommen möchten, als Leitspruch und Halt für das neue Jahr!
Ihr/ Dein Pastor
Andreas Pöhlmann