Andacht Oktober / November 2022

„Angst essen Seele auf“

So lautete der Titel eines Films, den Rainer Werner Fassbinder in den 70er Jahren in die Kinos brachte. Darin wird eine Angst beschrieben, die der in unserer Zeit, 50 Jahre später, gar nicht fern ist. Fassbinder erzählt in Bildern die Angst, nicht dazuzugehören, gesellschaftlich geächtet zu sein, nicht die Sprache der anderen zu sprechen. Und im Jahr 1973 gab es auch schon die Angst vor einer weltweiten Energiekrise. Der Titel des Filmes weist bewusst keinen korrekten Satzbau auf. Er ist einem Menschen in den Mund gelegt, der unsere Sprache noch lernt.

In vielen Gesprächen erzählen in diesen Tagen immer wieder Menschen ganz offen, wovor sie jetzt Angst haben. Vor dem kommenden Herbst und Winter ist die Angst groß, die deutlich höheren Gas-, Öl- und Strompreise nicht mehr zahlen zu können. Die sommerliche Dürre als Zeichen eines sich wandelnden Klimas gehört dazu. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine fürchten sich viele Menschen vor einem Krieg, der weit um sich greift in Europa. Und die Angst, sich und andere anzustecken in der Pandemie, bleibt präsent. In meiner Tätigkeit als Klinikseelsorger begegnen mir vermehrt Menschen mit einer Angststörung, die sie etwa daran hindert, in einem Geschäft einkaufen zu gehen. 

„Angst essen Seele auf!“ Wenn es so weit kommt, dass die Angst die Kommandobrücke übernimmt in meinem Leben, dann stimmt der Satz. Dann macht Angst kaputt. Aber sie gehört auch zu jedem Leben. Angst warnt vor Gefahr. Aber wer nur noch Angst hat, für den wird es eng. 

„In der Welt habt Ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33) So spricht Jesus, seinen eigenen Tod vor Augen. An seiner Art, Angst zu bewältigen, möchte ich mich orientieren. Angst gehört zum Leben. Das muss jeder ganz ehrlich zugeben – wenn es auch nicht immer geraten ist, diese Angst auch jedem zu zeigen. Jesus hatte Angst, als er vor seiner Verhaftung im Garten zu Gott gebetet hat, doch das, was kommt, abzuwenden. Damit ist er einer von uns, ein Mensch ganz und gar. Er weiß, dass wir in dieser Welt auch Angst haben. Aber er überwindet diese Angst, damit sie ihn und uns nicht aufisst. Er geht durch diese Angst, wie er vom Tod zu neuem Leben kommt. Und ich kann ihm folgen, indem auch ich die Angst durchschreite. Ich stelle mir vor, wie es einem geht, der zum ersten Mal aus der geöffneten Luke eines Flugzeugs abspringt, um Sekunden später den Fallschirm zu öffnen und dann zu Boden zu segeln. Einen solchen Sprung würde ich nicht wagen. Aber er ist ein Bild für mich für andere Situationen, in denen ich mutig einen Entschluss fasse und trotz der Angst, die ich auch empfinde, einfach springe. Und im Sprung ein Stoßgebet spreche. Dann kann die Angst meine Seele nicht essen, weil mein Glaube stärker ist als diese Angst! 

„In der Welt habt Ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33)

Ihr Pastor Andreas Pöhlmann