Von „Beziehungskisten“
In meiner Jugend sprachen wir oft von „Beziehungskisten“. Wir meinten damit traditionelle Partnerschaften, mit klarer Rollenverteilung, die etwas Enges an sich hatten. Solche Beziehungen als Kiste waren für uns in Konventionen erstarrt und von Eifersucht geprägt. Das alles wollten wir nicht. Jetzt bin ich selbst verheiratet. In so einer Beziehungskiste hocke ich nicht. In den Zeiten der Pandemie aber, in der immer wieder Kontaktbeschränkungen uns in unsere Häuser schicken, mit lernenden Kindern und arbeitenden Partnern unter einem Dach, kann sich das eigene Haus zu so einer Kiste entwickeln. Das ist eine Zerreißprobe für manche Familie. Oft höre ich, wenn ich vor Geschäften anstehe, wie Menschen über diese häusliche Enge klagen und einen Alltag, der kaum Platz für eigene Freiheiten lässt. Dann greifen wieder die alten Rollenmuster – und die Erziehung der Kinder ist plötzlich wieder Frauensache. Die Pandemie stellt unsere Partnerschaften und unsere Familien manches Mal auf eine harte Probe. Manche Beziehung zerbricht darüber. Aber andere werden auch gefestigt. So ist das in Situationen der Prüfung. Da ist beides möglich, Scheitern und Erfolg.
Am 06.05. las ich in der Zeitung, dass nach 27 Jahren Ehe sich Bill und Melinda Gates trennen. Überschrift „Gescheiterte Ehe, stabile Stiftung“. Ganz das erfolgreiche Unternehmerpaar, bleibt das Geschäft von diesem Entschluss unberührt, so heißt es. Die Kinder sind längst aus dem Haus. Und dann folgt ein Satz, der mich stutzen läßt. Ich lese ihn mehrfach: „Wir glauben nicht mehr, dass wir als Paar in dieser nächsten Lebensphase gemeinsam wachsen können.“ Bill Gates ist jetzt 65 Jahre alt, seine Frau so alt wie ich. Er erwartet von seiner Ehe, weiter „wachsen“ zu können. Wie im Geschäftsleben sei Stillstand also Rückschritt. Und eine Ehe brauche neue Reize und Ziele. Ich finde diesen Ansatz vermessen. Spannend sollte es bleiben, und der andere bereit, einen auch zu überraschen. Aber „gemeinsam wachsen“? Da stelle ich mir so eine Beziehungskiste vor, mit goldenen Beschlägen und überspannter Erwartung, aus der die beiden jetzt aussteigen.
„Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf.“ Das sagt Paulus seiner Gemeinde in Korinth im Hohenlied der Liebe, zu lesen unter 1. Korinther 13, Vers 8. Das klingt anders. In erster Linie meint Paulus auch die Liebe, die eine gute Gemeinschaft als Gemeinde zusammenhält. Und die Liebe zu Gott, die alles trägt. In einer Beziehung, die von Gewalt und Mißachtung geprägt ist, können solche Sätze gegen den anderen als Waffe gebraucht werden. Und es gibt auch Ehen, bei deren Ende alle nur erleichtert aufatmen können. Denke ich aber an eine gute, ausgewogene und partnerschaftliche Beziehung, dann sagt mir Paulus das: Schmeiß die Flinte nicht ins Korn! Hab Geduld – und nimm Dich nicht so wichtig. Lenke auch mal ein. Und übe Verzicht – für die Liebe. Dann muss man nicht auf Gedeih und Verderb „gemeinsam wachsen“. Dann gehen wir gemeinsam den nächsten Schritt. Und üben uns sich im Beharren, in Geduld. Und werden auch eines Tages belohnt. „Die Liebe hört niemals auf.“
Andreas Pöhlmann